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Führung ist Beziehung – Führen und führen lassen
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Führung ist ein Begriff, der in seiner Bedeutung schon so manche, teilweise tiefgehende, Veränderung erfahren hat. Und zweifellos wurde über Führung sehr, sehr viel geschrieben. Die Debatte um die Agilität hat den Begriff Führung erneut in den Interpretations-Mixer gefüllt. Herausgekommen ist etwas, das sich in seiner breiigen Konsistenz der Realität zu entziehen beginnt; eine Definition, die sich von unseren festen, klassischen Führungsvorstellungen meilenweit entfernt hat.
Inspiration aus der Bücherwelt
Kennen Sie Andreas Weber? Er ist Journalist, Biologe, Lehrbeauftragter für Journalistik und Sachbuchautor. Seine Bücher haben es in sich. Er formuliert auf einem schwindelerregend hohen Niveau, so inspirierend, dass man selbst die Tastatur lieber zur Seite legen würde.
Er beschreibt in seinem Buch: „Lebendigkeit – Eine erotische Ökologie“ die Grundprinzipien einer erotischen Berührung in der Natur: „Sie hat zwei Seiten, die so miteinander in Beziehung treten, dass beide Seiten verändert daraus hervorgehen“ (Weber, Seite 36). Bei dieser Aussage ist die Assoziation zur sozialen Beziehung nicht weit hergeholt. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Ausprägungen wirklich in Beziehung treten, gehen beide verändert daraus hervor. Das ist auch, zumindest in Teilbereichen, in der Führungsarbeit der Fall. Es ist ein Führen und führen lassen, ein ständiges Zusammenspiel einander widersprechender Rollen. Beide Seiten lernen, beide verändern sich und lassen Neues entstehen.
Führung ist Beziehung
Führung ist auch eine Form von Beziehung. Diese Erkenntnis ist unabhängig davon, welcher Definition von Führung ich gerade anhänge. Sobald Menschen eine Beziehung eingehen, beginnt ein Prozess der Veränderung. In Unternehmen sind diese Prozesse oft stärker auf ein Ziel hin ausgerichtet als in unserem Alltagsleben. Die Organisation wird also von einzelnen Individuen besiedelt, wirksam aber werden – soweit wir wissen – nicht die Substanzen der Einzelnen, sondern das oszillierende Netzwerk der Interaktionen, die Kommunikationen, wie wir das oft nennen. So verhält es sich auch in der Führung. Es zählt weniger die Substanz der Führungskraft, sondern die Beziehung, die dabei entsteht.
Das Prickeln des Gegenpols
Um aber eine Beziehung zu ermöglichen, müssen sich Menschen aufeinander einlassen, sich in ihren Ansichten, Haltungen, Meinungen, Handlungsweisen und Lernroutinen durchdringen und mit der Zeit gegenseitig abschleifen. Das Kollektive muss entstehen und reifen. Andreas Weber beschreibt das wunderbar mit der Metapher des Gebirgsbaches. In der Berührung von Kies und Wasser wird Wasser zur formenden Kraft und Kies weich und rund. „Die zu Tal stürzende Welle schlägt mit Härte gegen die Blöcke – und damit gewinnt das Wasser eine Qualität, die seinem Flüssigsein diametral entgegensteht…“ (Seite 37).
Lebendigkeit braucht Beziehung
Lebendigkeit – moderner: Agilität – entsteht demnach nur, wenn Menschen zur Beziehung bereit sind. Alle Beteiligten müssen sich abseits ihrer Rollen aufeinander einlassen und zur Veränderung bereit sein. Ein Beharren auf Meinungen oder auf das „Eigene von Wert“ wird zu keiner schöpferischen Entwicklung beitragen können. Transformation und Verwandlung ist immer Ausdruck eines kreativen Austauschs von weltoffenen Menschen.
Energie aus Gegensätzen
Dazu ist es hilfreich, über die Widersprüche zu reflektieren. Dort, wo Gegenpole aufeinandertreffen, entsteht das Potenzial zur Weiterentwicklung. Wir Menschen müssen in diesen Beziehungen bereit sein, uns mit dem Gegenpol zu beschäftigen. Vereinfacht gesagt, muss die Führungskraft sich führen lassen und Mitarbeitende müssen in den Lead gehen. Aus Bewahren wird Verändern, aus Distanz wird Nähe, aus den Individuen ein Team.
Assoziationen mit der Führungswelt
Es sind die Beziehungen, Kommunikationen und wechselseitigen Abhängigkeiten, die das Grundgerüst von organisationaler Wirklichkeit bilden:
- Die Beziehungen beginnen mit dem ersten Blick. „Auf diesem verschlungenen Weg durch die Cortexbereiche des Gehirns, wird der Blick mit Bedeutung belegt… (Horowitz, Seite 113)“. Mit dem Augenkontakt kommt Lebendigkeit ins Spiel, weil dadurch unsere biochemischen Prozesse angeregt werden. Aktuell: Bei der digitalen Kommunikation kommt es auf den „Blick in die Kamera“ an, damit sich Menschen gesehen fühlen.
- Die Beziehungen verändern dabei alle Menschen und hinterlassen erkennbare Spuren. So wird beispielsweise aus einem „Büro“ eine Bürofamilie, auch dann, wenn das Büro durch die Digitalisierung in eine Raumkrise kommt (Bartmann, Seite 277).
- Lebendigkeit kommt in dieses Zusammenspiel nur über das Interesse am anderen Menschen. Es braucht das Gefühl der Zugehörigkeit, der Bezogenheit. Auch wenn aktuell das Büro aufhört, als stabiler Ort wahrgenommen zu werden, so versuchen Menschen auch in isolierten Räumen eine Form der Zugehörigkeit zum Netzwerk herzustellen.
Dieses Netzwerk entspricht einem Prozess der Autokatalyse, der Strukturen und letztlich Sinn hervorbringt. Das nennen wir Organisation.
Mein Tipp für Führungskräfte
Bei aller Liebe zu den Prinzipien und Konzepten der Agilität, und bei allem Spaß an agilen Methoden, wir sollten unsere Organisationen besonders als Beziehungsnetzwerk von Menschen begreifen. Entwicklung, besonders wenn es eine kreativ-schöpferische sein soll, braucht Kontakt – der mit dem Augenkontakt beginnt – damit ein lebendiges Beziehungsnetzwerk entstehen kann. Und als wichtige Grundhaltung, sollte eine solche erkennbar sein, können wir die Lust am Erkunden des Gegenübers nennen. Das Menschenmögen, das sich einlassen auf einen gemeinsamen Formungsprozess sorgt für Entwicklung.
Herzlich,
Heinz Peter Wallner
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Wirklich cooler Artikel, Peter! Andreas Weber ist tatsächlich inspirierend auf mehreren Ebenen. Auch sehr lesenswert ist das schon etwas ältere, aber dennoch sehr zeitgeistige Buch „Alles fühlt“ – beste Leseempfehlung. Danke für den erhellenden Beitrag!
D.
Hallo Doris! Danke, freut mich! Liebe Grüße, Peter