Planung und Agilität – einem Widerspruch auf der Spur
Geschichtlich betrachtet haben wir Menschen uns schon öfter von Idealbildern verabschieden müssen. Kopernikus hat uns aus dem Mittelpunkt des Universums geschubst und uns auf ein Leben im ewigen Außen reduziert. Heute verabschieden wir uns von der Annahme einer idealen, planbaren Wirtschaftswelt und müssen uns in der vollen Komplexität ganz neu orientieren. Hier geht es um den Widerspruch von Planung und Agilität.
„Denn nur das Nicht-Vollkommene – weil es geometrisch nicht konstruiert werden kann – ermöglicht und erfordert empirische Forschung; das reine Schöne darf man getrost den Idealisten überlassen, das Halbschöne und das Hässliche gibt Empiristen zu tun. (Peter Sloterdijk, 1999, Sphären II, Globen, Suhrkamp, Seite 354)“
Die Herausforderungen der VUCA Welt
Die hohe Dynamik der Entwicklungen lässt die Planungsabteilungen in Unternehmen verzweifeln. Die Herausforderungen der VUCA Welt rütteln an den Grundfesten der Planungsschule der StrategieexpertInnen. Ist es Zeit, sich vom Idealbild einer planbaren Welt zu verabschieden? Haben Taschenrechner, Exceltabellen und Lineale ausgedient? Müssen wir hinabsteigen in den schmutzigen Keller der Empiristen und uns lediglich unseren Experimenten hingeben?
Die Kritiker der Planer sind jene Menschen, die sich trendbewusst mit flexibleren, lebendigeren Formen der Strategie befassen. In ihrer extremen Ausprägung nennen sie sich die Agile Evangelists oder Agile Enthusiasts (siehe dazu meinen Artikel über Offenbarungen, Apostel und Genies). Damit will wohl unterstrichen werden, dass das Richtige, vielleicht das einzig Wahre, für die Zukunft der Wirtschaft gefunden wurde und ein weiteres Kapitelende der Geschichte vor uns auftaucht.
Das Ideale gegen das Interessante – ein perfekter Tausch
Die neue agile Welt der Organisationen, die das Iterativ-testende, das Agile, Lebendige im Fokus hat, wendet sich dem Zufälligen zu. Sie konfrontiert sich selbst mit dem Belastenden der VUCA Welt und sie unterlässt jeden Versuch, das Störende und Unschöne unter den Tisch zu kehren. Sie versucht, die Welt mittels bunter Post-its zu sortieren. Wer agil sein will, muss es mit der bunten Zettelwirtschaft aufnehmen, die beinahe wahnhaft jede verfügbare Wand überzieht. Bereits nach kurzer Zeit erinnert sie an die schizophrene Psychose Russel Crowes als John Nash im Film: A Beautiful Mind. Doch wie sonst will man in einer Welt voller Turbulenzen und Schwarzer Schwäne vom Fleck kommen?
Wir haben es mit einer Welt zu tun, die uns mehr schockt als positiv überrascht, einer Welt voller Risse und Gefahren; einem eingedellten, rauen Planeten, dessen Schönheit wir nur fern vom Ideal wahrnehmen können. Mit der Agilität kommt der Abschied aus der konstruierten, komplizierten Welt. Wir tauchen nun in die Komplexität mit all ihrer gefährlichen, mitreißenden Pracht ein und ergeben uns dem Strom der Entwicklungen. Wir tauschen das Ideale gegen das Interessante. Damit ist zumindest eines sicher: eine spannende, aufregende Zeit liegt vor uns.
Nebenwirkungen nehmen wir in Kauf
Dave Snowden, einer der tiefgründigen Denker in der Welt der Agilität, nennt den heuristischen Dreischritt im Umgang mit hoher Komplexität: „probe – sense – respond“. Dabei müssen wir uns aber im Klaren sein, dass die Welt der Experimente einen ganzen Packen an Nebenwirkungen mit sich bringt. Weil es noch keine Alternative dazu zu geben scheint, müssen wir für die User der agilen Methoden einen langen Beipackzettel schreiben.
Das agile Wirtschaften schafft die Hemmungen ab, etwas zu probieren. Es fordert uns geradezu auf, unsere angelernte Impulskontrolle – zuerst denken und dann handeln – zu unterdrücken. Auch wird das langfristige Handeln dem kurzfristigen Experiment geopfert.
Ein Gedanke für das Führungskräftetraining
So werden agile Führungskräfte in Zukunft keine ExpertInnen mehr für das Klare und Fokussierte sein, sondern sich vermehrt zu Profis für das Arbeiten im Unebenen und Verworrenen entwickeln. Dabei aber müssen sie weiterhin als heller, idealer Nordstern für die Menschen erstrahlen. Wenn der Stern alles ist, was den Menschen von der Schönheit bleibt, dann dürfen wir ihnen diesen auf keinen Fall nehmen.
Herzlich,
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Weitere Artikel der Reihe:
Führungsarbeit und Beziehungsqualität
Menschen motivieren – der gewollte Wille
Kritik an der Führung – die zwei Dimensionen
Führungskommunikation und die drei Reden
Der akrobatische Weg der Führungskraft
Abbau der Vertikaldifferenzen – Wollen Sie das als Führungskraft wirklich?
Motivierte Menschen sind Helden der Zusammenbruchsvertagung
Agile? Wider die rationalistische Entgeisterung der Organisation
Verwöhnungstendenzen in der Gesellschaft
Meine Inspirationsquellen für diese Zeilen:
Peter Sloterdijk: Werk
Peter Sloterdijk, 1998, Sphären I, Blasen, Suhrkamp, 2. Auflage
Peter Sloterdijk, 1999, Sphären II, Globen, Suhrkamp, 1. Auflage
Peter Sloterdijk, 2009, Du mußt dein Leben ändern, Suhrkamp, 1. Auflage
Peter Sloterdijk, 2012, Zeilen und Tage – Notizen 2008 – 2011, Suhrkamp, 2. Auflage
Meine persönliche Darstellung des Self-Leaderships: Heinz Peter Wallner, 2016, TAKE FIVE – Die fünf Schlüssel zu mehr Lebendigkeit und innerer Stärke, Edition Summerhill, 1. Auflage, www.take-five-for-life.de, Link: Book2Look
Visuelle Aufbereitung und mit klarem Führungsbezug: Heinz Peter Wallner, Kurt Völkl, 2017, Fokus Self-Leadership – Gesunde und wirkungsvolle Selbstführung in Zeiten hoher Komplexität, Edition Summerhill, 1. Auflage, www.selfleadership.pro, Link: Book2Look
Video: Veränderung ganzheitlich verstehen – Heinz Peter Wallner auf YouTube
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