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Warum sich ein Flirt mit der Komplexität lohnt

Warum sich ein Flirt mit der Komplexität lohnt
by Heinz Peter Wallner

Warum Komplexität attraktiv ist

Im sechsten Artikel in meiner Serie über „Strategien für hohe Komplexität“ möchte ich auf die Frage eingehen, warum sich Führungskräfte überhaupt mit komplexen Systemen auseinandersetzen sollten. Ist es nicht viel sinnvoller, jede Form der Komplexität zu vermeiden? Solange ich ein System der Ordnung aufrechterhalten und stabilisieren kann, bin ich doch als Führungskraft auf der sicheren Seite und im Modus der Effizienz. Das sollte doch reichen! Oder Sie überzeugen sich, dass sich ein Flirt mit der Komplexität auf jeden Fall lohnen wird! Für diesen Artikel haben mich die Arbeiten von John Holland und Scott Page, Santa Fe Institute, inspiriert.

Die Materie zeigt die ihr inhärente Eigenschaft zur Entwicklung in die Richtung höherer Komplexität.

(Teilhard de Chardin)

Das Bild ist in zwei Hälften geteilt. Die rechte Bildhälfte zeigt ein Foto einer blühenden Löwenzahnblume. Man sieht nur die gelbe Blüte und im Hintergrund einen strahlend blauen Himmel. Die linke Bildhälfte zeigt eine ebenso hellgelbe Fläche mit dem grauen Text: „Komplexität: Wie wir sie nutzen können!“. Zusätzlich der Name des Autors Dr. Heinz Peter Wallner und der Slogan: Learning to change.

Komplexität ist nicht Komplexität

Führungskräfte sind heute vielfach mit sehr komplexen Problemstellungen aus der Umwelt konfrontiert. Diese Herausforderungen können nicht vermieden werden. Im Gegenteil. Haben wir es mit einer komplexen Umwelt zu tun, so müssen wir uns der vollen Komplexität stellen (Link: Komplexität im Leben). Dann stellt sich nur noch die Frage der eigenen Fähigkeiten, als Führungskraft und als gesamtes Team, mit der Komplexität einen sinnvollen Umgang zu finden. Ist das Team eine „adaptives Team“? (siehe dazu meinen Artikel über komplexe, adaptive Teams).

Komplexität erzeugen

Das bekannte Gesetz von der erforderlichen Varietät (Law of Requisite Variety) von Ross Ashby gibt uns einen wichtigen Hinweis, wann es sinnvoll sein kann, als Führungskraft ein „komplexes, kreatives Team“ zu unterstützen und somit die Komplexität des „eigenen Systems“ zu erhöhen. Sehr vereinfacht können wir als Leitlinie folgende Aussage treffen: Wenn die Komplexität der Umwelt hoch ist und wir mit wirklich komplexen Problemen konfrontiert sind, dann müssen wir in der Organisation, im Team, die Komplexität erhöhen.

Warum wir mit der Komplexität intensiver flirten sollten

Komplexe Systeme haben einige Besonderheiten, die wir nur bei diesen finden. Diese Besonderheiten sind aus der Sicht einer Führungskraft nicht gleich alle positiv zu werten. Aber einige dieser Eigenschaften sind derart wichtig für die Zukunftsfähigkeit, dass es die Sachte wert ist, die anderen „Nebenwirkungen“ auf Risiko in Kauf zu nehmen.

Was komplexe Systeme – und nur diese – auszeichnet:

  • Komplexe Systeme können sich unvorhersehbar verhalten. Das würde ich aus der Führungsperspektive gesehen, aber wenig sympathisch nennen. Wer will schon die Ungewissheit erhöhen?
  • Sie können „große Ereignisse“ hervorbringen („Tipping Points“, Transformationen). Sie halten sich nicht an die Gaußsche Normalverteilung. Auch dieser Aspekt scheint mir für die Führungsarbeit eher unerwünscht zu sein.
  • Sie können starke Störungen aushalten und sind daher sehr robust (Robustheit oder Resilienz). Jetzt kommen wir aber zum Punkt, an dem jede Führungskraft die Ohren spitzen sollte. Wer will nicht eine Organisation oder ein Team, das sehr gut mit Störungen von außen umgehen kann?
  • Sie bilden „bottom-up-Emergenzen“ aus. Dabei entstehen Eigenschaften, die nur das System zeigt, nicht aber die einzelnen Agenten. Wir können sagen: das Makroverhalten unterscheidet sich vom Mikroverhalten in seiner Art und Weise. Das ist der spannendste Punkt aus der Sicht der Führung. Diese Emergenzen „ergeben sich“, sie sind nicht steuerbar und sie können super unterstützend oder das genaue Gegenteil sein. Denken wir nur an die „Kultur“, die als Emergenz-Phänomen entsteht.
  • Komplexe Systeme kreieren ständig Neues, sie sind kreativ und somit langfristig meist auch innovativ. Nun kommen wir zum werthaltigsten Outcome! Wer neue Ideen und Lösungen für die Zukunft braucht, und wer würde das verneinen wollen, der tut gut, ein kreatives, komplexes System zu fördern.

Die ersten vier „Regler“, um die Komplexität im Team zu erhöhen

Die Abbildung zeigt ein kleines Mischpult mit vier Reglern. Die Überschrift lautet: Wie aus kompliziert, komplex wird. Die vier Regler tragen die Namen: Diverity, Connectedness, Interdependency, Adaptiveness.

  • Diversity – Die Einheiten des Systems weisen eine hohe Vielfalt auf. Sie unterscheiden sich in ihren wesentlichen Werten, Qualifikationen und Funktionen.
  • Connectedness im Team – Die Einheiten sind miteinander verbunden. Sie weisen eine hohe Vernetzungsdichte auf.
  • Interdependencies im Team – Die Einheiten sind nicht unabhängig, sondern sie beeinflussen einander. Sie gehen aufeinander ein und entwickeln “Abhängigkeiten”.
  • Adaptation – Die individuellen Einheiten sind in der Lage, aus Erfahrungen zu lernen. Sie können sich immer neuen Herausforderungen gegenüber anpassen und weiterentwickeln.
    (mehr im Artikel über komplexe, adaptive Teams)

Die Abbildung wurde einer Powerpoint-Datei entnommen. Sie zeigt eine visuelle Darstellung von vier Qualifikationen von Agenten komplexer Systeme. In der Mitte ist eine sternförmige Grafik mit vier Spitzen in vier Farben: Dunkelgrau – Interdependency, Grau – Adaptivness, Blau-grün – Diversity, Türkis – Connectedness.

Aber Vorsicht, es gibt immer auch eine obere Grenze der Komplexität! Wenn im System zu viel von den vier Zutaten gleichzeitig auftreten, wird der Bogen überspannt. Das System verliert seine Komplexität und wird entweder chaotisch oder einfach nur ein „sinnloser, nichtfunktionierender Haufen“.

Requisite Variety – oder wie hoch soll die Komplexität im Team sein?

Wie hoch soll die Komplexität im Team nun werden? Als erste Hilfestellung können Sie sich folgende Fragen stellen:

  • Haben wir für die Probleme, die wir lösen müssen, immer sinnvolle Handlungsvarianten zur Verfügung? Verfügen wir über genügend Handlungsspielraum?
  • Haben wir im Team genügend Menschen, die über die vielfältigen Kompetenzen verfügen, damit kreative Lösungen entstehen können?
  • Gibt es immer einige schnelle Ideen, welche Lösungswege ausprobiert werden könnten?
  • Kommen wir gemeinsam schnell zum Punkt, wenn es um eine Entscheidung geht?
  • Ist unser Dialog spannend und bringt er immer wieder neue Sichtweisen hervor, die letztlich zu neuen Lösungsmöglichkeiten führen?

Im Dunkel des Expertentums

Wenn Ihre Antwort in die Richtung geht, dass genügend bekannte Lösungswege vorhanden sind und die ExpertInnen mit Ihrem Wissen die Probleme immer schon gelöst haben und weiterhin lösen werden, dann haben wir den Punkt der Komplexität noch nicht ausreichend vertieft. Dann geht es zurück an die Anfänge, komplexe Systeme zu verstehen (1) (2) (3).

Mein Tipp für Führungskräfte:

Das Akronym der VUCA-Welt ist nicht allseits beliebt. Es kann aber helfen, den Komplexitätsgrad der Umwelt, mit der wir zu arbeiten haben, grob einzuschätzen. Sehr vereinfacht helfen die folgenden vier Fragen (auf einer Skala von 1 bis 10).

  • Frage 1: Wie hoch schätzen Sie die Volatilität Ihrer Problemumwelt ein (wie häufig wechseln stabile und instabile Phasen einander ab)?
  • Frage 2: Mit wieviel Ungewissheit sind Sie konfrontiert? Kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren, etwas, was niemand erwartet hat?
  • Frage 3: Wie stark ist Ihre Umwelt vernetzt und wie „dicht“ (Vernetzungsdichte) ist die Situation?
  • Frage 4: Wie stark erleben Sie nicht lösbare Widersprüche? (Wertekonflikte, Zielkonflikte, einander widersprechende Vorgaben etc.).

Am besten eignen sich diese Fragen für einen Dialog im Team!

Herzlich,

Heinz Peter Wallner

 

Seminare zum Thema Komplexität biete ich „Inhouse“ an.

Mehr über mein Führungskräftetraining finden Sie HIER!

 

Weitere Artikel zum Thema Komplexität und Komplexitätstraining:

Teams als komplexe, adaptive Systeme

Komplexitätstraining und intuitive Entscheidungen

Freischwebende Aufmerksamkeit im Komplexitätstraining

Die Lösung der Aporie (Ambiguity)

Komplexitätstraining und Widerspruchsarbeit

Über die Unfähigkeit, mit hoher Komplexität umzugehen (1/5)

 

Mein aktuelles Buch:

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Dr. Heinz Peter Wallner Learning to change! Dem Wandel begegnen, Komplexität meistern, auf höhere Ebenen kommen! Führungskräftetrainer, Strategie- und Changeberater, Buchautor, Vortragender, mit 25 Jahren Berufserfahrung. Leadership, Self -Leadership und Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit Veränderung und hoher Komplexität (VUCA Welt), Leading Change, Entscheidungsfindung und neue emotional-intuitive Führungskompetenzen für agile Führungsformen. Das ganzheitliche und kreative Design wird Sie überraschen. Web: www.hpwallner.com Takern I 109, 8321 St. Margarethen/Raab, Österreich Mobil: +43-664-8277375 Office: +43-664-8277376 Mail: wallner [at] trainthe8.com Office: office [at] trainthe8.com

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