Sein und Werden – Philosophie für Führungskräfte
Sein und Werden? Nein! „Sein und Gesehen-Werden konvergieren. Das Unbehagen in der Kultur geht nicht bloß vom aufgenötigten Triebverzicht aus; es entspringt mehr noch der Belastung durch den Blick des unfreundlichen Anderen.“ (Nach Gott, Peter Sloterdijk, Seite 37)
Meine neue Artikelreihe: „Inspiriert von Peter Sloterdijk“
Sein und Werden bildet eine Grundaporie des Lebens
Jeder Mensch ist der Polarität dieses Widerspruchs Zeit seines Lebens ausgesetzt. An einem Pol genügen wir uns selbst, finden innere Stärke und Zufriedenheit im vollkommenen Sein. Keine Vergangenheit und keine Zukunft können uns belasten und unsere Gedanken für ihre Zwecke missbrauchen. Vielfach wird uns heute von den Lebensratgebern verkauft, dass das wahre Glück nur im Sein zu finden sei.
Gänzlich widersprechen können wir dem, wenn wir den Gegenpol des Werdens einnehmen. Hier sind wir von der Zukunft final beansprucht. Kein Sein kann uns interessieren, weil wir ständig werden, immerwährend einer Entwicklung unterworfen sind und uns dem „Zug nach Oben“ – hin zum Besseren, zum Schöneren, zum Nächsten, zur nächsten Sprosse auf der „Himmelsleiter“ – ergeben.
In Organisationen finden wir diese Aporie natürlich ganz analog wieder. Hier nennen wir den einen Pol das Bewahren, den anderen das Verändern. Was kommt dabei heraus, wenn wir weder dem einen noch dem anderen folgen, sondern uns auf die Suche nach einer Synthese machen? Wir alle kennen solche Aussagen: Wenn wir das Gute bewahren wollen, dann müssen wir uns laufend verändern. Von solchen Weisheiten durchzogen, machen wir uns an den Change, den Wandel, die Transformation.
Teste dich selbst! Kannst du dich sehen lassen?
Dem einzelnen Menschen bleibt es auch nicht erspart, aus dem Widerspruch zwischen Sein und Werden einen Ausweg zu suchen. Schon vor langer Zeit waren Inschriften an den Toren der Tempelstätten von Delphi zu lesen, die diesen Widerspruch des Lebens entwirren konnten: „Wir werden, was wir sind“.
Aber ist das noch ein passender Slogan für uns Menschen unter heutigen Bedingungen? „Der Mensch kann nicht werden, was und wer er ist, solange er sich nicht vor den Augen von Beobachtern produziert. Existenz impliziert den permanenten Test, ob man sich sehen lassen kann.“ (Nach Gott, Seite 38).
Willkommen in der Welt der Darstellenden. Wer sich nicht produziert, der kann weder sein noch werden, weil er schlichtweg gar nicht als existent geführt wird. Dieses Schicksal ereilt heute auch die Menschen in Organisationen. Wer die Anwesenheitsliste nicht unterschrieben hat, war nicht dabei, wer seine Kompetenz nicht auf der Bühne der Assessmentcenter dramatisch inszeniert, wird nicht wahrgenommen, wer seine Produktivität nicht mittels Zahlen, Daten, Fakten beweisen kann, wird überflüssig, wer die Analysten nicht mit Gewinnprognosen überzeugen kann, fliegt aus dem Executive Board, wer ohne Powerpoint auftritt, ist entweder professioneller Selbstinszenierer (alias Speaker) oder wird – weil schlecht vorbereitet – erst gar nicht ernst genommen.
Die Bühne steht offen!
Willkommen auf der Bühne! Auf diesen neuen Brettern hat die Leitdifferenz zwischen gut und schlecht keine Bedeutung mehr. Es gilt: Hast du eine Dramaturgie für den Auftritt? Kannst du eine (erfundene) Geschichte erzählen? Aus der alten Frage: „sein oder nicht sein“, wird heute, „inszeniert oder überflüssig“. Keiner wird mehr, was oder wer er ist.
Hoffentlich, können und wollen Sie sich, den unfreundlichen Blicken zum Trotz, sehen lassen!
Herzliche Grüße,
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Meine Inspirationsquellen für diese Zeilen:
Peter Sloterdijk, 2017, Nach Gott, Suhrkamp, 1. Auflage
Peter Sloterdijk, 2012, Zeilen und Tage – Notizen 2008 – 2011, Suhrkamp, 2. Auflage
Weitere Artikel der Reihe finden Sie hier:
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Der Weltzustand vom Chaos aufwärts betrachtet
Offene Stelle: Co-Redakteur einer Vollendungsgeschichte
Einige Minuten, um die Gegenwart zu erhellen
Meine persönliche Darstellung des Self-Leaderships: Heinz Peter Wallner, 2016, TAKE FIVE – Die fünf Schlüssel zu mehr Lebendigkeit und innerer Stärke, Edition Summerhill, 1. Auflage, www.take-five-for-life.de, Link: Book2Look
Eine visuelle Aufbereitung und mit klarem Führungsbezug finden Sie hier: Heinz Peter Wallner, Kurt Völkl, 2017, Fokus Self-Leadership – Gesunde und wirkungsvolle Selbstführung in Zeiten hoher Komplexität, Edition Summerhill, 1. Auflage, www.selfleadership.pro, Link: Book2Look