Selbstführung und die vertikale Spannung
Was ist am Ende der Steigerung noch „oben“? Warum eine Veränderung, wenn es auch so geht? Oft stellen Menschen diese Frage, wenn Veränderungsprozesse anstehen. Veränderung, der Veränderung willen, das kennen wir schon. Sinnentleert. Sicher, den Menschen wird viel zugemutet in diesen Zeiten. Was aber spricht gegen den Anspruch, ständig an sich zu arbeiten und jeden Versuch zu unternehmen, über sich hinaus zu wachsen? Wir nennen das Selfleadership oder Selbstführung. Getrieben sind wir von einer vertikalen Spannung, weil in unserer Kultur „oben besser ist als unten“.
Was für Entwicklung spricht
Ich glaube es spricht weniger gegen Veränderung, als in uns durch Widerstände dagegen arbeitet. Schon jede Bewegung in der Ebene ist eine Mühe, welche Last dagegen erst ein Aufstieg? Wohin soll uns der Aufstieg dann auch führen? Wer kennt schon ein Oben, das attraktiv genug ist, die mögliche Fallhöhe eines Absturzes noch zu vergrößern?
Und was ist mit dem Recht auf Unvollkommenheit? Immerhin scheint uns diese ja angeboren, oder besser gesagt, wurde sie uns durch die Kultivierung aufgezwungen und hat sich wie ein Schatten über unser Wesen gelegt. Wenn es die Normen der Gesellschaft so wollen, warum dann den Aufstieg in Erwägung ziehen?
Was kommt nach der Steigerung?
Es gibt viele Gründe. Einer liegt mir heute am Herzen. Wir haben viele Jahrzehnte in einer Welt der Steigerung gelebt. Nicht wir Menschen sind in ungeahnte Höhen auf der „Himmelsleiter“ aufgestiegen, sondern wir haben diese Transzendierung von innen nach außen gestülpt. Der Aufstieg, die Steigerung, das Wachstum, hat überall in unserer Umwelt stattgefunden. Es war sozusagen der kühne Ersatzprozess für die eigene Entwicklung.
Als oben wurde definiert, was der Mehrheit wichtig war. Die Hierarchien in Unternehmen, die Größe des Heimes, die Geschwindigkeit des Autos, das Ausmaß der Macht, die Trendnähe der Kleidung, die Füllhöhe des Kontos, das Risiko auf Aktienmärkten und, und, und. Wir wollten uns von den Fundamenten des Lebens emportragen lassen, ohne uns selbst anzustrengen und ohne dem weißen Licht ins „allsehende Auge“ zu blicken.
Am Ende der Steigerungswirtschaft
Was aber machen wir nun am Ende der Steigerungswirtschaft? Was gilt noch als oben, wenn es keine Steigerung in der materiellen Welt mehr gibt? Gerade weil die Fallhöhe des bevorstehenden kollektiven Absturzes dermaßen hoch ist, scheint mir der innere Aufstieg dringend nötig zu sein. Nicht aber etwa deshalb, weil wir damit dem Absturz entkommen könnten. Wir werden ihn aber leichter ertragen, wenn wir in unserer Innenwelt schon mehr an Höhe gewonnen haben.
Das neue Oben ergibt sich auch aus vielen anderen Überlegungen. Mehr dazu ein andermal. Dazwischen aber wieder ein kleiner Spaziergang.
„Ob in Achterschleifen oder einfach gerade aus, es bleibt wie immer die heiterste Form der Reinigung“, meint Cooper.
Herzlich,
Heinz Peter Wallner
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Du beschreibst den innern Aufstieg als die zentrale Aufgabe für die Zukunft. Gerade wenn wir diesen inneren Aufstieg wirklich gehen, werden sich völlig neue Kräfte und Richtungen für die Veränderung des außen ergeben. Aus der Verantwortung für uns, die Menschen um uns und die Natur als unser aller Lebensraum schafft völlig neue Möglichkeiten, neue Freude und Lust des Tuns. Steigerung ist ja nur dann ein echte Bedrohung wenn Sie keinen Horizont mehr hat (Nitsche: wer wird die Kraft haben das Blut vom Horizont zu wischen). Doch wo ist der neue Horizont und wer wird ihn als transpersonale Orientierungspunkt feststellen/finden können?