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Das Verwirrspiel um Ursache und Wirkung

Das Verwirrspiel um Ursache und Wirkung
by Heinz Peter Wallner

Das Verwirrspiel um Ursache und Wirkung

Sehr oft schon habe ich vom „Gesetz von Ursache und Wirkung“ gehört. Was wir säen, das werden wir ernten. Wenn es also ein Gesetz gibt, das jeder Ursache eine Wirkung zuschreibt, dann könnten wir von „mechanistischen“ Zusammenhängen ausgehen, die Welt wäre dann berechenbar, steuerbar, vorhersehbar.

 

Dominosteine Ursache-Wirkungskette - Kresse-Wallner 2009: Foto von alten weißen Dominosteinen, die in einer Reihe ausgestellt waren und umgefallen sind. Die Steine liegen auf einer schwarzen, glänzenden Tischplatte.

Dominosteine Ursache-Wirkungskette – Kresse-Wallner 2009

Über komplexe Systeme

Wir kennen aber mittlerweile alle den Unterschied zwischen einfachen und komplexen Systemen. Einfache Systeme sind mechanisch verlinkt und haben keine Wahl. Wir  drehen den Schalter auf „ein“ und das Licht ist an, wir geben mehr Gas und das Fahrzeug beschleunigt. Bei komplexen Systemen, seien das Lebewesen, Organisationen, soziale Systeme, et cetera, kennen wir den einfachen linearen Zusammenhang nicht mehr. Hier treffen wir auf kybernetische Feedbackprozesse, in denen sich Ursache und Wirkung in einem dauernden Wechselspiel befinden.

Zudem lässt sich die Wirkung einer Intervention nicht mehr klar vorhersehen. Kleine Ursachen können große Wirkungen erzeugen, wie wir das aus der Chaostheorie kennen. Solche Phänomene werden etwa mit dem Schmetterlingseffekt, in chemisch-physikalischen Systemen mit der Bifurkation oder in sozialen Systemen mit dem Tipping Point beschrieben. Vom Gesetz von Ursache und Wirkung bleibt uns nur mehr die nachträgliche Beschreibung eines rekursiven Prozesses übrig.

Ursache und Wirkung

Wenn ein Mensch einen  Herzinfarkt erleidet, so kann die dazu führende Ursache nur im Nachhinein als Kette von Ereignissen, die sich nur „zurückverfolgen“ aber nicht vorhersehen lassen, beschrieben werden. Eine schwere Krankheit vor vielen Jahren, die das Herz geschwächt hat, eine unzählig große Anzahl an fetten Speisen, hunderte Gründe, wieder auf den Sport verzichtet zu haben, ein wichtiger Termin, der von der Vorsorgeuntersuchung abgehalten hat, der Stress heute in der Früh, weil der Wecker nicht geläutet hat, die Anspannung im Auto, weil der Stau wieder sehr stark war, der kleine Schreck durch den Zusammenstoß mit einem Menschen, der wenige Minuten vor dem Infarkt um die Ecke bog und letztlich der nahende Termin, der zum allzu hastigen Treppensteigen verführt hat und „Bumm“ ist der Infarkt eingetreten.

Rekursive Prozesse

Vom Ereignis – der großen Wirkung – zurück kann ein rekursiver Prozess aus vielen Ursachen und Wirkungen nachgezeichnet werden. Die Wirkung Herzinfarkt aber kann mit keiner direkten Ursache mehr verknüpft werden. Es gibt nur viele kleine Ursachen, die zu Wirkungen führen und aus denen zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal eine größere Wirkung hervorgeht. Die „große Wirkung“ wird zum Emergenzphänomen, das sich aus dem komplexen Wechselspiel von Ursachen und Wirkungen heraus unvorhersehbar entwickelt.

Anfangsbedingungen der Entwicklung

Alles, was wir an einer Entwicklung beeinflussen können, liegt in diesem Augenblick. In jedem Augenblick können wir die Anfangsbedingungen für die Entwicklung neu prägen. Immer im Jetzt können wir Einfluss nehmen, auf das, was kommt, und dieses Jetzt ist immer. Nicht, dass wir damit einen sicheren Pfad zum Ziel hätten. Wir können aber die Tendenz der Entwicklung entscheidend mit beeinflussen. Somit machen Strategien und Ziele wieder Sinn, weil sie Orientierung geben und mir im Augenblick eine gute Entscheidung ermöglichen.

Auch in komplexen Systemen und Umfeldern kann ich mich mit dem Gesetz  von Ursache und Wirkung versöhnen, weil es als Prozess verstanden werden will. Ich kann zwar nicht mit einer Ursache, die ich heute setze, eine bestimmte Wirkung in der Zukunft erzielen, aber immerhin kann ich mit vielen kleinen Ursachen, die ich immer wieder im Sinne einer gewünschten Wirkung setze, dem Entwicklungsprozess eine Richtung geben. Die gute Wiederholung auf Basis einer ethischen Entscheidung hält mich auf Kurs.

Von unvorhersehbaren Einflüssen aus der Umwelt abgesehen, die immer meine gewünschten Ziele in Frage stellen können, bin ich somit in der Lage, durch meine Interventionen in jedem Augenblick, durch meine auf das Ziel gerichteten positiven Gedanken, durch meine Herzenskraft und meine wiederholten Taten im Hier und Jetzt, eine gewünschte Wirkung sehr wahrscheinlich in die Welt zu bringen. Das Gesetz von Ursache und Wirkung wird zum Prozess und zum Gesetz von fortlaufenden Ursachen und Wirkungen.

Train the Eight - Ursachen und Wirkungen - Wallner 2009: Entwicklungsmodell entlang einer liegenden Acht im Zyklus GEIST - HERZ - BEWEGUNG - FORM.

Train the Eight – Ursachen und Wirkungen – Wallner 2009

Prozess in der liegenden Acht

In der liegenden Spiral-Acht ist dieser Prozess abgebildet. Das „Lernen in der liegenden Acht“ zeigt den Entwicklungsprozess mit all seinen Wiederholungsschleifen. Im ersten Quadranten „Neues Denken“ wird die Intervention gesetzt, im vierten Quadranten „Neue Erkenntnis“ wird die Wirkung erkannt und reflektiert. Nach dem Erkennen der Wirkung fällt die Entscheidung zur Wiederholung. Dabei werden im „Neuen Denken“ die Anpassungen unternommen und neue Ursachen gesetzt, die wieder zu neuen Erkenntnissen (Wirkungen) führen.

Herzlich,

Heinz Peter Wallner

 

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Dr. Heinz Peter Wallner Learning to change! Dem Wandel begegnen, Komplexität meistern, auf höhere Ebenen kommen! Führungskräftetrainer, Strategie- und Changeberater, Buchautor, Vortragender, mit 25 Jahren Berufserfahrung. Leadership, Self -Leadership und Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit Veränderung und hoher Komplexität (VUCA Welt), Leading Change, Entscheidungsfindung und neue emotional-intuitive Führungskompetenzen für agile Führungsformen. Das ganzheitliche und kreative Design wird Sie überraschen. Web: www.hpwallner.com Takern I 109, 8321 St. Margarethen/Raab, Österreich Mobil: +43-664-8277375 Office: +43-664-8277376 Mail: wallner [at] trainthe8.com Office: office [at] trainthe8.com

7 Kommentare

  1. die liegende Acht verliert bei keinem Beitrag von Dir Ihre Attraktivität für mich – und das Erkennen und Verbessern des eigenen Entwicklungsprozesses. Bemerkenswert.

    Gruß aus der Steiermark, Hannes

  2. Danke für die Blumen. Mir bereitet das Bloggen große Freude, immer wieder. Die liegende Acht bietet mir dazu ein weites Feld und dauernde Inspiration. Danke Dir für’s Folgen und Kommentieren, was wie Humus für den Blogger wirkt und neue Artikel sprießen lässt.
    Liebe Grüße,
    Peter

  3. Hallo Herr Wallner,

    Sie sprechen mir aus der Seele. Diese Determiniertheit, die uns Menschen zu reinen Maschinen trivialisiert ist unglaublich. Ich habe vor geraumer Zeit diese Auswüchse auf die Unternehmensplanung reflektiert (http://blog-conny-dethloff.de/?p=242). Ich vergleiche die Planungsprozesse mit dem „Immer-Jünger-Werden“ von Benjamin Button.

    Ich finde Ihren Blog sehr erhellend und anregend. Danke dafür.

    Denkerische Grüße,
    Conny Dethloff

  4. Ursache-Wirkung;
    – als eine in der Natur (Schöpfung) inne liegende Gesetzmäßigkeit,
    – ist die Grundlage aller Wissenschaften,
    – könnte als gemeinsamer Nenner für alle Menschen sein,
    – ist Grund für die Annahme, dass wir in der Natur keine entgegengesetzte gültige Wirkungsweise kennen,
    sollte nicht zu der Annahme führen, dass alles (von Menschen ausgehende), was diese Wirkungsweise leugnet, unhaltbar ist?
    und dass deshalb auch im Rechtswesen das Verursacherprinzip nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auch überall in der Wirtschaft, in der Medizin etc. pp gelten soll?

  5. Hallo Herr Beheschti, danke für Ihren Beitrag! Ich sehe das auch so: Ursache-Wirkung ist ein der Schöpfung inne wohnendes Prinzip. Es gibt aber auch viel „falsch verstandenes“ Ursache-Wirkungs-Denken. In diesen Fällen schenken wir der Komplexität der Welt zu wenig Beachtung, gerade z.B. in der Medizin. Andererseits, auch das teile ich, könnten wir öfter auf das Verursacherprinzip bauen. Der Umweltschutz ist dafür ein geeignetes Feld. Danke und liebe Grüße, Heinz Peter Wallner

  6. „Kreisendes Denken“ (Spiegel) von Herrn Kermani hat mich hierher geführt. Nicht lineares Denken, prozessuales Ursache-Wirkungs- Denken, mehrdimensionales Geschehen, Multidiversität, komplex und mannigfaltig unsere entscheidenden Fragen wie Freiheit, Sinn und Glauben. Diese Unbestimmtheit und fehlende Eindeutigkeit erinnert an die Wahrscheinlichkeits-theorie in der Physik, ja viele Schmetterlingsflügel…. und trotzdem Primat der Logik…?
    Nur bei den verschränkten Teilchen sei sie außer Kraft gesetzt, wegen der Gleichzeitigkeit des Geschehens. Wir können nicht weit genug denken und stoßen an Grenzen, aber das ist wohl die Essenz des Lebendigen. Schöne gemeinsame Gedankenwelten.. Gruss

  7. Liebe Frau Geitner, danke für Ihre schöne Ergänzung! Die Essenz des Lebendigen ist voller Widersprüche. Das gefällt mir sehr, weil es unser Leben spannend macht. Das „Kreisende Denken“ von Kermani kannte ich nicht. Ich sehe mir das gerne an. Danke dafür. Lassen wir also unsere Gedanken weiter kreisen und schöne Muster bilden. Herzliche Grüße, Heinz Peter Wallner

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