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Karriere – ein Begriff zum Verlieben?

Karriere – ein Begriff zum Verlieben?
by Heinz Peter Wallner

Karriere – ein Begriff zum Verlieben?

Es gibt Wörter, die bekommen in der Lebensgeschichte irgendwann eine bestimmte emotionale Bedeutung zugewiesen. Oft sind diese Zuweisungen falsch oder zumindest nicht wirklich hilfreich, werden aber mangels guter Gründe nicht mehr hinterfragt. Für mich persönlich stellt der Begriff „Karriere“ ein solches Beispiel dar.

Verbesserung macht die Straßen gerade, aber die unverbesserten, krummen Straßen sind die des Genies (William Blake)

Madame Di Men Sion (train the eight): Bild einer Damen mit sehr langen schwarzen Haaren, die an einem alten Schreibtisch sitzt und etwas schreibt. Am Tisch steht ein Kerzenleuchter mit drei brennenden Kerzen.

Madame Di Men Sion (train the eight)

 

Bedeutung der Karriere

Dem Begriff Karriere habe ich allerlei schlechte Überweisungen geschrieben und mit meinen weniger schönen Emotionen belegt. Am Begriff klebte das Strebertum, der Wettkampf einer Sache willen, die es nicht wert ist, ein ungutes Konkurrenzdenken, ein falsch verstandenes „Survival of the fittest“ oder „Struggle for life“, ein von klebrigen Netzwerken und Abhängigkeitsbeziehungen bestimmter beruflicher Werdegang.

So war ich schon vor Beginn meines Berufsleben in diesem Punkt sicher: Ich mache keine Karriere; allein die Vorstellung war mir unsympathisch. Mögen sich die anderen um die vermeintlichen Sonnenplätze raufen, ihre Seele dafür verkaufen und „scheinbar weiter kommen“.

Lieber gehe ich von Anfang an einen einsamen Weg, den „schweren“ Weg der Selbstständigkeit, wo Erfolg mit Karriere (in meiner alten Interpretation) nichts zu tun hat (diese Offenbarung ist freilich Futter für jeden Therapeuten 🙂 Spieglein, was lehrst Du mich?)

Der flexible Mensch

Inzwischen vergingen viele, viele Jahre. Der Begriff fand weder Erbarmen noch Aufmerksamkeit. Dann kam vor einiger Zeit ein kleines Büchlein von Amazon ins Haus. Richard Sennett’s „Der flexible Mensch“. Das Buch kann ich nur empfehlen, auch wenn einige Passagen und Tabellen – aufgrund des schnellen Wandels – nicht mehr ganz taufrisch sind.

In diesem Buch stieß ich auf den Begriff Karriere. Und siehe da, jetzt kann ich den Begriff lieben, ich kann die Menschen verstehen und sehe, dass es kaum Unterschiede zu meinem Weg gibt. Es ist ein ständiges Entwickeln und Lernen.

Karriere steht für ein aktives Gestalten des eigenen Lebenswegs.

Eine Geschichte einer Entwicklung

Somit hat Karriere in dieser Interpretation nur mehr wenig mit der rein beruflichen Entwicklung zu tun. „Es wird die Geschichte einer inneren Entwicklung, die sich durch Können (und Kampf) entfaltet“ (Walter Lippmann – Drift and Mastery). Das Positive, was ich jetzt dem Begriff Karriere abgewinnen kann, ist die langfristige Ausrichtung und die Anerkennung einer „Vertikalspannung“ (1) (2).

Es reifte die Erkenntnis, dass meine Beschäftigung mit der Frage der persönlichen Entwicklung ja immer schon eine Beschäftigung mit der Karriere war. Ich verwende jetzt den Begriff „Lebenskarriere“.

Zeit des Wandels

In einer Zeit des steten Wandels, die jedem Menschen die Orientierung und den sicheren Halt kostet, der sein Leben auf eine berufliche Karriere alleine ausrichtet, kann die Festlegung eines Lebensziel und die Basis gelebter Werte und Regeln sehr viel helfen.

Die „Lebenskarriere“ bringt Verantwortungsgefühl mit sich, weil wir auf uns selbst und auf die Entwicklung unseres Umfeldes viel stärker achten. „Lebenskarriere“ ist das Gegenteil von „Drift“, dem ziellosen Dahintreiben (Walter Lippmann).

Wir haben die Wahl

Der Mensch hat also die Wahl zwischen einem Dahinschwimmen im Lebensstrom, ohne zu steuern, und einem sehr gerichteten Streben, hin zu einem selbst gesetzten Ziel. Natürlich müssen wir diesen zwei Optionen noch den Graubereich hinzufügen, weil alle Möglichkeiten dazwischen dem wahren Leben immer näher sind als eine der beiden radikalen Randoptionen.

Ich sehe auch eine zusätzliche Option, die weder das eine noch das andere ist. Neben der Steuerung und dem Drift gibt es die eigenständige Möglichkeit des „Anvertrauens“. Das Anvertrauen ist ein bewusstes „sich dem Universum ergeben“ im vollen Vertrauen auf die universelle Intelligenz des Lebens.

  • Drift: ich lasse das Leben laufen, weil ich zur aktiven Steuerung keine Energie oder keine Lust habe (passive Lebenshaltung)
  • Steuerung: ich nehme mein Leben in die Hand, setzte mir Ziele und steuere mit all meiner Energie  darauf zu  (aktive Lebenshaltung)
  • Anvertrauen: ich übergebe mein Leben der Intelligenz des universellen Geistes und lasse los (transformative Lebenshaltung)

Vielleicht sind die drei Optionen auch einfach unterschiedliche Ebenen in der Entwicklung, die von einer passiven in eine aktive Lebenshaltung übergeht und sich schrittweise dem Loslassen nähert. Das Loslassen selbst ist eine Form des Erwachens.

Führungskräfte aber dürfen sich nicht anvertrauen

In den mir bekannten Formen der Führungskräfteentwicklung wird der Schwerpunkt fast immer auf den Übergang von der passiven zur aktiven Lebenshaltung gelegt. Eine aktive Steuerung über Ziele ist das höchste der Gefühle, was im unternehmerischen Kontext möglich scheint.

Ein Mensch, der seiner inneren Stimme folgt und auf die Kräfte des universellen Geistes vertraut, kann aber vielleicht als Führungskraft viel mehr bewirken. Gerade die Zeit des substanziellen Wandels, die wir eben erleben dürfen, bedürfte viel mehr jener Menschen, die nicht bloß ein messbares Ziel verfolgen können und andere zur Nachahmung anregen.

Menschen, die der inneren Stimme und Intuition folgen, strahlen Ruhe und Kraft aus und brauchen für ihren Weg keine Macht. Sie sind die idealen Führungskräfte durch krisenhafte Zeiten. Für den normalen beruflichen Werdegang – als Teil einer „alten“ Karriere – sind aber jene, die ausgeprägt aktiv steuern, wohl noch am besten beraten.

Karriere im Beruf war gestern

Richard Sennett kommt zum Schluss, dass die Kurzfristigkeit und die Flexibilität, die der neue Kapitalismus von den Menschen abverlangt, ein geordnetes Arbeitsleben im Sinne einer Karriere nicht mehr möglich macht. Schon lange habe auch ich das Gefühl, unsere Gesellschaft hält sich nicht mehr an eine Grundregel, nämlich einem jungen Menschen ein Fortkommen im Sinne einer Karriere zu ermöglichen, wenn er nur genügend Einsatz zeigt und seine Pflichten „der Anpassung“ erfüllt.

Vieles, was auf Universitäten und Fachhochschulen gelehrt und versprochen wird, kann im weiteren Lebenspfad nicht mehr eingehalten werden. Ein Planen der beruflichen Entwicklung, das eine Fülle an Möglichkeiten voraussetzt, ist undenkbar, weil heute die Fülle fehlt und sich wohl kaum in nächster Zeit in alter Form wieder vor uns aufbauen wird.

Hoffen dürfen wir freilich auf eine neue Art von Fülle, die aus einer Ganzheitlichkeit und der nachhaltigen Entwicklung entspringen wird. Darauf aber wird heute im Bildungssystem niemand ernsthaft vorbereitet.

Ganzheitliche Karriere

Wenn die Karriereplanung im Beruf nur eingeschränkt möglich ist, dann gewinnt die Lebenskarriere an Bedeutung. Das aktive Streben nach einem „Oben“ wird zur persönlichen Entwicklung genutzt. Die geringeren Chancen im Beruf bringen daher die Chance, der eigenen Entwicklung den Vorzug geben zu dürfen. Dieser Trost mag für die heutige Jugend ein geringer sein.

Langfristig aber wird das unserer Gesellschaft gut tun und uns näher einem kollektiven Erwachen bringen. Die Gefahr, statt der Lebenskarriere das ziellose Driften zu wählen, ist aber sehr groß und dies würde uns nur schaden. Einer Lebenskarriere aber kann ich sehr viel abgewinnen. Sie bringt und schenkt uns eine neue Balance zwischen Werden und Sein. Den Begriff der Lebenskarriere brauche ich also nicht mehr ablehnen. Ihm kann ich meine Energie widmen, ich kann ihn lieben.

train the eight - die liegende Acht: Bild der liegenden Acht als Handskizze. Im Hintergrund eine Illustration von Wassertropfen und ein blau-brauner Hintergrund.

train the eight – die liegende Acht

Dass sich jede Lebenskarriere im „train the eight“ entlang der liegenden Acht (im Geist-Herz-Bewegung-Form Zyklus) am einfachsten beschreiben lässt, wissen Sie vielleicht. Wenn nicht, dann können sie hier oder hier oder hier einen Blick riskieren.

Herzlichst,

Heinz Peter Wallner

 

Dr. Heinz Peter Wallner Learning to change! Dem Wandel begegnen, Komplexität meistern, auf höhere Ebenen kommen! Führungskräftetrainer, Strategie- und Changeberater, Buchautor, Vortragender, mit 25 Jahren Berufserfahrung. Leadership, Self -Leadership und Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit Veränderung und hoher Komplexität (VUCA Welt), Leading Change, Entscheidungsfindung und neue emotional-intuitive Führungskompetenzen für agile Führungsformen. Das ganzheitliche und kreative Design wird Sie überraschen. Web: www.hpwallner.com Takern I 109, 8321 St. Margarethen/Raab, Österreich Mobil: +43-664-8277375 Office: +43-664-8277376 Mail: wallner [at] trainthe8.com Office: office [at] trainthe8.com

8 Kommentare

  1. Hallo Michael, ich danke Dir für die Aufnahme und das Weiterspinnen meiner Gedankenskizzen aud Deinem Blog: http://www.zukunftsraum.at/blog/. Es gefällt mir sehr! „Jeder Schritt in Richtung „Loslassen“ bringt uns einer glücklichen Zukunft näher“ 🙂 Lass uns das üben! Herzlichen Gruß, Peter

  2. Lieber Peter,
    ich danke vielmals für deinen Artikel und besonders natürlich für deine freundliche Erwähnung 🙂

    Dir einen lieben Gruß
    Thomas

  3. Lieber Thomas, der Artikel hat mir auch sehr viel Spaß gemacht … und Du bist einfach der metale Intuitionstrainer! Wen sollte ich sonst erwähnen? ebenso liebe Grüße, Peter

  4. Lieber Peter!
    Lieben Dank für Deine, wie immer, hervorragenden Gedanken. Laß mich einen anfügen, der mich mit dem Thema „Ziele“ und „Führungsarbeit“ noch mehr beschäftigt:
    Wir alle (auch wir Berater) haben in den letzten Jahren gelernt und gelehrt, dass Führen viel mit Zielen, deren Erreichung und den damit gegebenem Erfolg zusammenhängt. Viele streben danach und es erscheint mir schon fast ein manisches Bedürfnis zu sein, alles in Ziele zu packen und diese (meinem geliebten QM sein Dank) auch noch messbar zu machen. Der heutige Stand meines aktuellen Irrtum ist, wir greifen zu kurz! Wie kann eine Führungskraft sich selbst nach ihren Zielen entwickeln und ihr MitarbeiterInnen danach führen, wenn der SINN abhanden gekommen ist. Wir würden uns viele Methoden und Gewalten ersparen, wenn wir es wieder schaffen, den Menschen den Sinn in ihrem Handeln zurückzugeben bzw. aufzuzeigen. Dafür würde es aber eines Sinns bedürfen, der, so scheint es mir, manchem Manager abhanden gekommen ist oder nie vermittelt wurde. Leicht gehen diese Gedanken jedoch dem manchem Unternehmer ein, der dieses Sinn durch seine eigene Schaffenskraft und seine Energie in Richtung Erfolg mit der Überzeugung für sein Produkt gewinnt und darin und dadruch Sinn findet. Der Sinnverlust ist es auch, der uns zum Driften verleitet, weil es dort die Ausernandersetzung damit nicht braucht.
    Ich bin froh, in dir, lieber Peter, auch einen Sinnsucher-u. finder zu kennen und es macht Spaß ein Stück des Weges mit dir gemeinsam zu gehen.

  5. Liebe Liesi, danke, freu mich sehr über Deine Gedanken und Zeilen hier, die meinen Beitrag wunderbar erweitern. Es geht mir genau so. Die Suche nach dem Sinn ist eine zentrale Frage der Gesellschaft geworden. Wir, die Gesellschaft, sind in einen Modus der perfektionierten Oberflächlichkeit abgedriftet. Alles was Wert hat, ist Form, ist sinnentleert, ist Spiel, ist „Samsara“. Und bald schon, das erkennen schon sehr viele, haben wir dieses Spiel zu Ende gespielt. Ich bin nicht sicher, ob uns eine beginnende Suche nach dem Sinn noch davon abhalten kann, mit all unseren Formen unter zu gehen. Aber der Neuanfang, nach dem „Reset“ wird – so bleibt uns zu hoffen – wieder mit Sinn gefüllt sein. In der Zwischenzeit ist es gut, sehr gut sogar, wenn wir wieder zum Sinn finden. Vielleicht finden wir Sinn ja in unserem inneren Wesen. Wir werden sehen. Danke auch für die gemeinsame Suche 🙂 liebe Grüße, Peter

  6. Ein sehr schöner Beitrag! Ja, es müssen nicht immer berufliche Ziele bzw. positionsbezogene Ziele in einem Unternehmen sein. Vor allem besteht die Gefahr, dass solche Ziele fremdbestimmt definiert werden. Weil es ja doch „selbstverständlich“ ist, dass jeder Karriere machen, Erfolg (was ist das eigentlich?) haben und viel Geld verdienen will.

    Herzliche Grüße
    Falk Richter

  7. Lieben Dank für Ihren Kommentar! Wir sollten überhaupt mehr über die Frage: Was ist Erfolg? nachdenken. Die Welt, die sich vor uns auftut, verlangt nach neuen Definitionen. Die alten Muster jedenfalls führen uns nicht in ein erfülltes Leben. Herzliche Grüße!

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